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Das Bedingungslose Grundeinkommen ist in den letzten Jahren immer öfter Inhalt von Dokumentationen, Interviews, Talkshows und Diskussionsrunden. In Zeiten eines globalen wirtschaftlichen Umbruchs, wie wir ihn gerade erleben, haben wir uns das vor über 10 Jahren stattgefundene Versuchsprojekt in Namibia angeschaut und stellen euch den aktuellen Wissenschaftsstand und prominente Meinungen zum BGE vor.

Das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE)

Was versteht man unter einem bedingungslosen Grundeinkommen?

Wie die Bezeichnung vermuten lässt, ist der Grundgedanke hinter dem bedingungslosen Grundeinkommen, dass es jedem Bürger und jeder Bürgerin bedingungslos zustehen soll, ungeachtet des sozialen Standes, des erwirtschafteten Einkommens oder anderen Faktoren. Laut dem „Netzwerk Grundeinkommen“ soll ein bedingungsloses Grundeinkommen

„die Existenz sichern und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, einen individuellen Rechtsanspruch darstellen sowie ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit oder anderen Gegenleistungen garantiert werden.“1

In diesem Falle kann man das Grundeinkommen als humanistisches Modell betrachten. Doch selbst jene Länder, die über ein Grundeinkommen nachdenken, können sich bisher kaum mit der Bedingungslosigkeit dessen anfreunden. Vielmehr streben einige Staaten (bspw. Finnland) einen Kompromiss an, der mit Hilfe eines recht geringen Grundeinkommens, in seiner Höhe vergleichbar mit dem deutschen Hartz IV, die Sozialleistungen ersetzen soll. Damit würden die bürokratischen Kosten gesenkt und das Grundeinkommen nur den Bedürftigen zugesprochen werden. Man spricht dann von einem neoliberalen Modell.

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens, in Deutschland manchmal auch gesichertes Grundeinkommen oder abgekürzt „BGE“ genannt, ist an sich nichts Neues. Bereits im Jahr 1516 wird im Roman „Utopia“ die Möglichkeit in Betracht gezogen, durch ein Grundeinkommen die Kriminalitätsrate zu senken. Eine dem Grundeinkommen vergleichbare Zahlung fand wohl auch im vorindustriellen England im Rahmen des „Speenhamland Gesetz“ statt2. Der erste weltweit bekannte Versuch ein bedingungsloses Grundeinkommen auch unter diesem Namen einzuführen, fand außerdem bereits in den 1970er Jahren in der Stadt Dauphin in Kanada statt, wurde damals jedoch ohne wissenschaftliche Auswertung abgebrochen. In die Realität umgesetzt und auch entsprechend evaluiert wurde das Grundeinkommen demnach tatsächlich erst im Jahr 2008 in Namibia.

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Wie kann das Grundeinkommen die Gesellschaft zum Positiven verändern?

Zu den Befürwortern und Befürworterinnen des bedingungslosen Grundeinkommens zählen Wissenschaftler, Unternehmer, Privatpersonen und Organisationen aus der ganzen Welt. Sie sind davon überzeugt, dass ein bedingungsloses Grundeinkommen

in Bezug auf jedes einzelne Individuum:

  • die Unabhängigkeit bei der Suche nach einer Erwerbstätigkeit erhöhe,
  • die körperliche und mentale Gesundheit durch weniger Stress und Existenzangst verbessere,
  • die Möglichkeit schaffe, sich außerhalb der Erwerbstätigkeit sinnvoll zu betätigen,
  • die Wahrung der Würde und die Beseitigung von Stigmatisierungen gegenüber Gering- oder Nichtverdienern bedeute,
  • die Wertschätzung von ehrenamtlichen Tätigkeiten erhöhe,
  • mehr Unternehmensgründungen durch eine gesicherte Existenz ermögliche.

in Bezug auf Unternehmen, Gesellschaft und Politik:

  • eine größere Verteilungsgerechtigkeit schaffe und damit die Arm-Reich-Schere verkleinere,
  • eine höhere Beteiligung der Menschen am gesellschaftlichen Leben ermögliche,
  • durch geringeren bürokratischen Aufwand eine höhere Effizienz des Sozialstaates erreiche,
  • Unternehmer und Unternehmerinnen von ihrer hohen Verantwortung als Arbeitgebende entbinde,
  • aufgrund von Automatisierung und Digitalisierung wegfallende Arbeitsplätze ausgleichen könne,
  • eine höhere Beteiligung der Menschen an Bildungsmaßnahmen ermö

Rein wirtschaftlich gesehen könne durch ein Grundeinkommen die Kaufkraft gesteigert und Konjunkturschwankungen damit ausgeglichen werden. Außerdem würden durch eine finanzielle Grundsicherung Kreativitätspotenziale freigesetzt und das Image von Arbeit zum Positiven verändert. Letzteres würde sich beispielsweise darin äußern, dass auch gesellschaftliche oder hauswirtschaftliche Tätigkeiten als Arbeit anerkannt werden und bis dato schlecht bezahlte, aber unabdingbare Jobs Wertschätzung in Form höherer Löhne erfahren könnten.

Bekannte Befürworter des BGE sind zum Beispiel der Gründer der deutschen Drogeriekette „DM“ Götz W. Werner, dessen entwickeltes (Finanzierungs-) Modell auch vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) anerkannt wird, sowie Vertreter aus dem Silicon Valley in Kalifornien, die ein bedingungsloses Grundeinkommen insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Automatisierung und Robotisierung begrüßen würden. Aus dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung sind sowohl Pro-34 als auch Kontra-Stimmen5 bekannt.

Weitere spannende Quellen über die gesellschaftlichen Veränderungen des BGE:

Grundeinkommen.de: Fragen und Antworten
DIW Berlin: Bedingungsloses Grundeinkommen: eine ökonomische Perspektive. 2014. PDF, 0,3 MB
DIW Berlin: Solidarisches Grundeinkommen: alternatives Instrument für mehr Teilhabe. 2018. PDF, 0,3 MB
Adrian Lobe: Die Angst vor der Vierzig-Stunden-Pause. 18. Juni 2016. Faz.de

Wer soll das finanzieren und wer macht dann die „Drecksarbeit“?

In der inzwischen jahrzehntelang andauernden Diskussion um das bedingungslose Grundeinkommen kristallisieren sich drei Kontra-Argumente immer wieder heraus:

  • Die Finanzierung des Grundeinkommens sei utopisch, schlichtweg nicht realisierbar.
  • Es wird außerdem in Frage gestellt, ob das Grundeinkommen wirklich gerecht sei, da bspw. die höheren Ausgaben von Schwerbehinderten zunächst nicht einberechnet werden können.
  • Es gäbe keine Sicherheit, dass dann überhaupt noch jemand arbeiten würde, schon gar nicht in niederen Jobs.

Zur Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens existieren bereits unterschiedliche Modelle, die sich je nach Land auch unterscheiden können.

  • Der Wohlstand,
  • das Steuersystem,
  • das Sozialsystem
  • und das Wertesystem

im jeweiligen Land sind Faktoren, die eine Rolle spielen können.

In Deutschland könnte ein Großteil des Finanzierungsbedarfs für das BGE bereits durch die Streichung jeglicher Sozialleistungen und dem damit verbundenen geringeren bürokratischen Aufwand gedeckt werden.

Zudem steht

  • die Besteuerung von CO2,
  • Finanzgeschäften,
  • Kapital oder Grundstückswerten

in der Diskussion, um eine noch gerechtere Umverteilung der wirtschaftlichen Gewinne zwischen Armen und Wohlhabenden zu erreichen.

Eine Frage, die bisher noch ungenügend geklärt wurde ist, wie es sich mit dem erhöhten finanziellen Bedarf von beispielsweise Kranken und Behinderten verhält. Hierfür müssten weiterhin individuelle Programme verfügbar sein. Das Ersetzen aller Sozialleistungen durch das BGE birgt zudem die Gefahr, dass es dem Staat eine enorme Macht verleiht und Populisten eine Plattform bieten könnte.

Auch ist nicht geklärt wie es sich mit unterschiedlich hohen Lebenshaltungskosten in ein und demselben Land verhält, wenn alle das Grundeinkommen in gleicher Höhe bekommen.

Dass Arbeitnehmende infolge eines bedingungslosen Grundeinkommens ihre Arbeit kündigen und faul werden, konnte bisher nicht durch Studien belegt werden. Im Gegenteil kommen bisherige Umfragen und Forschungen eher zu dem Ergebnis, dass nur sehr wenige Menschen gar keiner Arbeit mehr nachgehen (würden), dies jedoch ihren Mitmenschen eher zutrauen. Möglicherweise besteht demnach eher ein gesellschaftliches Vertrauensproblem als ein Finanzierungsproblem.

Gegenstimmen zum bedingungslosen Grundeinkommen gibt es vor allen Dingen von Seiten der Gewerkschaften. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Bayern argumentiert beispielsweise, dass sich Arbeitgebende aus der Verantwortung stehlen und niedrigere Löhne zahlen würden6 Aber auch der Armutsforscher Christoph Butterwegge ist überzeugt, dass lediglich eine Verschiebung der Armutsgrenze stattfindet, anstelle von Armutsbekämpfung und Befreiung vom Arbeitszwang7. Plausibel erscheint manchen, dass sich das BGE inflationär auswirken könnte, die Preise lediglich steigen würden und am Ende alles genauso wäre wie vorher.

Weiterführender Informationen zu den wichtigsten Fragen und detaillierten Antworten zum Grundeinkommen.

Quellen Nachteile (und Lösungsansätze):

Daniel Häni (Unternehmer) und Enno Schmidt (Künstler): Ist ein Grundeinkommen finanzierbar? Würde dann noch jemand arbeiten? auf Grundeinkommen.ch
Matthias Lindemer (M. Sc für Ökologie und Politik): Finanzierung eines Grundeinkommens auf grundeinkommenerklaert.wordpress.com
Netzwerk Grundeinkommen: Übersicht unterschiedlicher Modelle auf: grundeinkommen.de
Quellen zum Youtube- Video von Dinge Erklärt – kurzgesagt

allgemeine Quellen zu den Vor- und Nachteilen:

Ayad Al-Ani: Mehr als nur Umverteilung. Zeit.de. 6. Mai 2017
Florian Diekmann: Gleiches Geld für alle. Spiegel.de. 25. Dezember 2015
Michael Faye und Paul Niehaus: Grundeinkommen statt Entwicklungshilfe. Zeit.de. 22. April 2016
Ruth Fulterer: Niederlande experimentieren mit Grundeinkommen. Sueddeutsche.de. 14. August 2015
Diana Sierpinski: Wo die Utopie bald wahr werden könnte. n-tv.de. 7. Februar 2016
Jannes: Was ist eigentlich Arbeit – Warum Grundeinkommen den Bergriff radikal hinterfragt. mein-grundeinkommen.de. 13. April 2018
Netzwerk Grundeinkommen: Die Idee

Das Pilotprojekt „Basic Income Grant“ (BIG) - Namibia wagt den Testversuch

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Namibias Idee

Die Idee vom bedingungslosen Grundeinkommen in Namibia entstand im Jahr 2002. Damals empfahl eine von der Regierung eingesetzte Kommission das Grundeinkommen zur Armutsbekämpfung einzuführen.

Es gibt kaum ein Land auf der Welt, in welchem die Schere zwischen armen und reichen Bürgern so weit auseinander klafft wie in Namibia. Dies wird jährlich durch den Gini-Index8 bemessen.

Was ist der Gini-Koeffizient?

Der Gini-Index ist ein statistischer Wert zur Darstellung der Ungleichverteilung. Er gilt als Maßstab für die Einkommens- und Vermögensverteilung einzelner Länder. Je höher der Wert desto ungleicher ist die Verteilung.

Weltkarte des Gini-Wertes
59.10
Gini-Koeffizient Namibia (2015)

Wäre das Einkommen aller Erwachsene gleich hoch, würde dies einem Wert 0 entsprechen. Bei einer absoluten Ungleichheit würde der Wert 100 betragen9.

Deutschland

27.00 (2006)

Botswana

60.5 (2009)

Südafrika

63.0 (2014)

Namibias Umsetzung

Das Pilotprojekt wurde zunächst für zwei Jahre, von Januar 2008 bis Dezember 2009, angesetzt und von der Vereinten Evangelischen Mission (VEM) und Brot für die Welt finanziert.

Als Ort der Umsetzung wählte man ein kleines namibisches Dorf namens Otjivero am Rande der Savannenregion Omaheke. Unterhalb des sich in Regierungsbesitz befindlichen Otjivero-Dammes ließen sich nach Erreichung der Unabhängigkeit Namibias im Jahr 1990 viele hundert Menschen nieder. Diese waren entlassene Arbeiter der umliegenden Farmen, welche nicht wussten, wohin sie sonst gehen könnten. Sie besetzten das einzige Fleckchen Land, welches sich nicht im Besitz von reichen Farmern befand. Es befindet sich ca. 100 km östlich von Windhoek. Solche durch Besetzung gewachsene Siedlungen werden in Namibia Squatter Camps genannt.

In Otjivero bekam jeder der etwa 1000 Einwohner, der keine Rente bezog, monatlich 100 Namibische Dollar. Nach dem damaligen Umrechnungskurs entsprach das sieben bis acht Euro. Auch in Otjivero reicht dieses Geld allein nicht aus, um eine Familie einen ganzen Monat lang zu ernähren, daher diente das Geld den Bürgern tatsächlich nur als Grundsicherung.

Das bedingungslose Grundeinkommen musste dabei folgende Punkte erfüllen:

  • Es ist universell und wird damit jedem ausgezahlt, der keine Absicherung durch Rentenzahlungen erfährt, bspw. auch Straftätern.
  • Es besteht ein Anspruch auf die Auszahlung von Geld, weshalb Sachleistungen keine Option sind.
  • Es soll eine Form der Grundsicherung für die Otjiveroer darstellen.
  • Es beruht auf dem Prinzip der umverteilenden Gerechtigkeit und soll damit die Schere zwischen Armen und Reichen kleiner werden lassen.

Die Zahlungen erfolgten auf eine Chipkarte, auf welcher die jeweiligen persönlichen Daten inklusive des Fingerabdrucks gespeichert waren. Mit dieser Karte gingen die Otjiveroer am Auszahlungstag zu einem Automaten und erhielten Bargeld. Es gründete sich recht schnell ein 18-köpfiges Dorf-Komitee, welches allen Bewohnern bei der Investition ihres Geldes beratend zur Seite stand. Damit wurde verhindert, dass sich die Befürchtungen der Regierung und Außenstehender bewahrheiteten, laut welchen die Otjiveroer das Grundeinkommen nur für Alkohol ausgeben und nicht mehr arbeiten gehen würden. Eine Vereinbarung des Komitees sah beispielsweise vor, dass die Kneipen am Tag der Auszahlung frühestens am Abend Alkohol verkaufen durften oder bestenfalls geschlossen blieben. Außerdem wurde das Geld für die Kinder ausschließlich an deren Mütter ausgezahlt.

Wie ernst die Bewohner dieses Projekt nahmen wurde zudem unter dem Punkt „besondere Bemerkungen“ wie folgt zusammengefasst:

„Das BIG-Projekt ist einzigartig. Wenn wir versagen, wird ganz Namibia scheitern, und Afrika wird als Katastrophe gelten.“10

Die Gründung des Komitees ist eine notwendige, selbst auferlegte soziale Kontrolle der Bürgerinnen und Bürger. Die Projektleiter dagegen hätten solche Bedingungen aufgrund des Charakters eines bedingungslosen Grundeinkommens nicht aushandeln dürfen.

Ab 2010 wurde, finanziert durch Spendengelder aus Deutschland und Italien, ein geringeres Überbrückungseinkommen gezahlt, um die Einwohner vor dem Rückfall in die Armut zu bewahren. Zuletzt geschah dies jedoch nur noch recht unregelmäßig, bis das Projekt dann im Jahr 2015 eingestellt wurde.

Namibias Ergebnisse im Überblick

Eine während des Pilotprojektes durchgeführte Studie kam zu einem deutlich positiven Verlauf des Projektes. So wurde festgestellt, dass…

  • die Dorfbewohner in Eigenverantwortung ein Komitee zur adäquaten Investition des Geldes gründeten.
  • der Anteil der Haushalte, welche unter die sogenannte „food poverty“-Grenze fallen, von 76% auf 37% sank.
  • der Anteil der Menschen, die nun zusätzlich einer Arbeit nachgehen konnten und dies auch taten, von 44% auf 55% anstieg.
  • der Anteil unterernährter Kinder von 50% auf 10% sank.
  • es eine höhere Anwesenheitsrate von Kindern in Schulen gab.
  • die Austrittsrate von Kindern aus Schulen von 40% auf 0% sank.
  • vermehrt Schuldenrückzahlungen vorgenommen wurden.
  • häufigere Arztbesuche und Medikamentenkäufe (bspw. zur Behandlung von HIV) stattfanden.
  • die Kriminalität (Wilderei und Holzdiebstahl) laut Polizeistatistik zurückging.
  • es keinen nachweisbaren Anstieg des Alkoholkonsums gab.

Negativ aufgefallen sei nur, dass es einen deutlichen Zuzug aus anderen Landesteilen nach Otjivero gab. Die Zugezogenen waren jedoch vorrangig Verwandte, welche keinen Anspruch auf das bedingungslose Grundeinkommen hatten.

Neben der evaluierten und nachweisbaren Fakten ist jedoch anzumerken, dass Interviews von Journalisten mit den Otjiveroern eine deutlich veränderte Stimmung in dem Dorf aufzeichneten. So wurden im Rahmen der Projektphase zahlreiche Kleinunternehmen gegründet, die vorher ein zu hohes finanzielles Risiko darstellten.

Durch die steigende Kaufkraft wurde die Wirtschaft zusätzlich gestärkt und die Bürgerinnen und Bürger gewannen spürbar an Hoffnung, Stellung und Selbstvertrauen, insbesondere gegenüber den reichen Farmern in der Umgebung. Statt sich weiterhin für einen Hungerlohn ausbeuten zu lassen, wurden viele selbst zu Händlern oder Dienstleistern.

Eine höhere Zahl an Frauen konnte das BIG nutzen, um erwerbstätig bzw. selbstständig zu werden und sich damit eine unabhängigere Stellung gegenüber der Männer zu erwirtschaften. Das sichere Kapital in Form des bedingungslosen Grundeinkommens wurde intelligent eingesetzt und verhalf zu einem viel höheren Gewinn als es ohne diese Grundsicherung möglich gewesen wäre. Die Projektleiterin Claudia Haarmann drückt dies wie folgt aus:

„Ein bedingungsloses Grundeinkommen ist kein statisches Wohlfahrtsprogramm. Weil es gerade Menschen auch dann unterstützt, wenn sie ökonomisch aktiv werden, können wir es mit einem Trampolin vergleichen: Es fängt die Menschen auf, bevor sie am Boden liegen. Und es hilft ihnen dabei, wieder nach oben zu kommen.”11

Sichtbar waren die langfristigen Investitionen in Saatgut und Nutztiere zur Selbstversorgung, Stein- anstatt Wellblechhütten sowie in Schuluniformen und Lehrmaterialien für die Kinder. Die örtliche Grundschule spricht von einer eingenommenen Schulgebühr von 1200 Namibische Dollar, anstatt der zuvor eingenommenen 200 bis 300 Namibische Dollar. Im Gesundheitsbereich nahmen nicht nur Medikamentenkäufe und Artbesuche zu. Viele Otjiveroer investierten das BIG in eine Sterbeversicherung. So würden die Hinterbliebenen im Todesfall eines Familienmitglieds durch die hohen Kosten, die bei manchen einem ganzen Jahresgehalt entsprechen, nicht in den Ruin getrieben werden.

Die Ergebnisse zeigen auf, dass gerade die Ärmsten ein Grundeinkommen offenbar besser nutzen als es ihnen gemeinhin zugetraut wird. Die weltweit verbreitete Annahme, mit einem Grundeinkommen würde niemand mehr arbeiten gehen wurde nicht bestätigt und selbst der ehemalige UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon hat sich daher bereits für Direktzahlungen als Standardmethode ausgesprochen, um Menschen in Krisensituationen zu helfen1213.

Die Kritik an den Studienergebnissen

Kritik an dieser Studie von Claudia und Dirk Haarmann gab es jedoch insbesondere von Seiten des Ökonoms Rigmar Osterkamp. Einige konservative Regierungsmitglieder und der Internationale Währungsfond schlossen sich dieser Meinung weitestgehend an.

Die Hauptkritikpunkte waren, dass die Studie unter der Leitung von den Projektleitern persönlich vorgenommen wurde,

  • womit die Neutralität nicht gesichert werden kann,
  • keine externen Berater Einsicht erhielten,
  • eine fehlende Kontrollgruppe
  • und fehlende Daten des zweiten Projektjahres.

So wurden statt vier nur zwei Evaluierungen des Projekts vorgenommen. Die erste Evaluierung fand nach sechs Monaten im Jahr 2008 statt, die zweite, welche den Rest des Jahres 2008 mit abdeckt, erst Mitte 2009.

Es fehlen Daten und Dokumentationen der kompletten letzten Hälfte der Studie aus dem Jahr 2009. Die vorhandene Datenbank bleibt projektexternen Personen zudem auch heute noch vorenthalten. Die Definition einer Kontrollgruppe „ohne BIG“ ist ein methodisch übliches Vorgehen, welches in diesem Fall von den Projektleitern abgelehnt wurde, da es „ethisch problematisch“ gewesen wäre.

Ebenfalls umstritten ist die Höhe der Kosten des Projekts. Es ist davon auszugehen, dass das Pilotprojekt mindestens 3 Millionen Namibische Dollar und höchstens 15 Millionen Namibische Dollar kostete. Erstere Angabe stammt von den Projektverantwortlichen selbst, letztere von einer Aussage des Kritikers Rigmar Osterkamp14.

Den abweichenden Berechnungen liegt wohl eine unterschiedliche Definition von „Projektkosten“ zugrunde. Dem Vorwurf der nicht vorhandenen Neutralität halten Claudia und Dirk Haarmann entgegen, dass mehrere andere Wissenschaftler an der Evaluierung des Projekts beteiligt waren. Darunter Forscher vom „Labour Resource and Research Institute“ in Namibia, mehrere wissenschaftliche Mitarbeiter sowie ein beratendes Team bestehend aus Wissenschaftlern namhafter Universitäten in Südafrika, den USA und Australien, welche zweimal nach Namibia einreisten, um Daten, Hochrechnungen und die Forschungsmethode zu überprüfen.

Der aktuelle Stand in Namibia

Obwohl die von der Regierung eingesetzte Kommission bereits im Jahr 2002 ein bedingungsloses Grundeinkommen empfahl, wurde dies bis heute nicht durchgesetzt. Die Regierung hatte das Pilotprojekt zwar genehmigt, sich vor und während der Testphase aber stets vehement gegen das bedingungslose Grundeinkommen ausgesprochen. Sie beobachtete das Projekt lediglich, erhob jedoch keine Daten.

Trotz dessen, dass mit Hage Geingobs 2012 ein bekennender Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens in das Amt des Ministerpräsidenten gewählt wurde, hat sich seit der Einstellung des Projekts wenig getan. Der Ministerpräsident setzte 2015 mit Altbischof Zephania Kameeta zudem einen Initiator des Pilotprojekts in das Amt des Ministers für Armutsbekämpfung und Fürsorge ein. Dennoch konnte dieser bislang nicht für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Namibia sorgen. Stattdessen versucht er die Armut auf anderen Wegen zu bekämpfen, beispielsweise mit einer Landreform, besserer Ausbildung und besserer Infrastruktur, einer Erhöhung der Rente und Suppenküchen in Windhoek.

Das Zurückrudern des namibischen Ministerpräsidenten selbst könnte eine Folge der Berechnung des Internationalen Währungsfonds (IWF) sein, wonach ein nationales Grundeinkommen mehr als 5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts kosten würde. Dies ist für ein wirtschaftlich schwaches Land wie Namibia schlichtweg nicht tragbar. Die BIG-Koalition spricht jedoch von lediglich 2,2 bis 3,8 % des Bruttoinlandsprodukts zur Finanzierung des BIG.

Ein landesweites Basic Income Grant könnte zudem auf unterschiedliche Art und Weise finanziert werden. Verschiedene Vorschläge beinhalteten

  • eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
  • oder eine progressive Anhebung der Einkommenssteuer, welche vorrangig die einkommensstarken Bürger und Bürgerinnen zu tragen hätten. Auch
  • eine Umstrukturierung des staatlichen Ausgabenbudgets

kann zur Finanzierung beitragen. Denkbar scheinen bisher jedoch höchstens mit Auflagen verbundene regelmäßige Auszahlungen an arme und kinderreiche Familien.

Claudia und Dirk Haarmann halten solche Überlegungen für weniger sinnvoll. Ein an den sozialen Status geknüpftes „konditionelles Grundeinkommen“ fördere die Spaltung zwischen armen und reichen Bürgerinnen und Bürgern nur noch mehr aufgrunddessen, dass die reicheren Namibierinnen und Namibier dieses über ein neues Steuersystem komplett finanzieren müssten.

Die Regierung ist jedoch noch lange nicht an einem Punkt angelangt, an dem sie Bürgerinnen und Bürgern finanzielle Unterstützung ohne Gegenleistung bietet.

Es gilt weiterhin der Grundsatz:

Wer Geld bekommen möchte, muss arbeiten und/oder gewisse Auflagen erfüllen.

Weitere spannende Quellen zum BGE in Namibia:

Asmus Heß: Als das Geld vom Himmel fiel. brandeins.de. 2008
The BIG Debate in Context: Facts and Fiction about Otjivero. 15. Juli 2011. PDF, 0,3 MB
Dagmar Paternoga und Ronald Blaschke: Namibia macht es vor: ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle. Bericht von der Vortragstour von Herbert Jauch aus Namibia. Grundeinkommen.de. 26. April 2010.
Evangelische Kirche von Westfalen: Bedingungsloses Grundeinkommen in Namibia? 23. März 2015
Claudia und Dirk Haarmann: Weniger Armut nach BGE-Experiment in Namibia. thebuzzard.org. 21. Juli 2017
Leoni Schmid-Enke: Die Geschichte von Otjivero: Bedingungsloses Grundeinkommen in Namibia. Doodad-Magazine.com. 31. Juli 2017

Weltweite Testversuche zum Grundeinkommen

Grundeinkommen in Kenia

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In Kenia findet aktuell das größte Grundeinkommensprojekt der Welt statt. Man setzt auf Grundeinkommen statt Entwicklungshilfe. 6000 Menschen sollen über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren ein bedingungsloses Grundeinkommen erhalten. Die Zahlungen könnten je nach Dorf unterschiedlich ausfallen, müssen innerhalb der jeweiligen Dorfgemeinde jedoch gleich sein.

Das Langzeitprojekt wird finanziert von der US-Spendenorganisation „GiveDirectly“. Die Gründer der Organisation sind Experten für wirtschaftliche Entwicklung und sehen Direktzahlungen als erfolgsversprechendste Methode zur Armutsbekämpfung an. Kenia eignet sich für das Großprojekt insbesondere deshalb, weil auf ein gut funktionierendes System von Finanztransfers für Mobiltelefone zurückgegriffen werden kann. Außerdem eigenen sich die niedrigen Lebenshaltungskosten in Ostafrika für ein Langzeitprojekt dieser Art. Mit rund 30 Millionen Dollar kann dieses Projekt über 10 bis 15 Jahre finanziert werden. Die zur Finanzierung notwendigen Spendengelder sollen über Spenden von Privatpersonen und Unternehmen eingenommen werden.

Im Gegensatz zum zweijährigen Projekt in Namibia wird in Kenia auch eine Kontrollgruppe „ohne Grundeinkommen“ beobachtet. Generell scheinen die wissenschaftliche Begleitung und Methodik der Evaluierung durchdachter als beim vergleichbaren namibischen Pilotprojekt.

Herbert Wilkens: Kenia: Größtes Grundeinkommens-Experiment der Geschichte. Grundeinkommen.de. 27. April 2016
Nicolai Kwasniewski: Gleiches Geld für alle – das Experiment. spiegel.de. 21. April 2016
Michael Faye und Paul Niehaus: Grundeinkommen statt Entwicklungshilfe. zeit.de. 22. April 2016
GiveDirectly: Send moiney directly to the extreme poor.

Grundeinkommen in Finnland

Auch das Projekt Grundeinkommen in Finnland erreichte eine weltweite Bekanntheit über die Medien. Im Jahr 2015 entschied die Mitte-Rechts-Regierung, ein Pilotprojekt „Perustulo“ (dt.: „Grundeinkommen“) in Angriff zu nehmen. Diese Entscheidung geschah aus der Not heraus, infolge der Wirtschaftskrise und einer hohen Arbeitslosigkeit. Das Projekt kostete die Regierung etwa 10 Millionen Euro, wurde infolge des Regierungswechsels mehrmals geändert und schlussendlich radikal verkürzt. Finnlands oberstes Ziel war es, durch das Grundeinkommen Sozialleistungen einzusparen und die Arbeitslosenquote zu senken. Letzteres soll durch den Ausbau des Niedriglohnsektors, und damit dem Schaffen höherer Anreize zur Ausführung schlecht bezahlter Jobs, geschehen.

In den Jahren 2017 und 2018 wurden im Rahmen des Pilotprojekts 2000 zufällig ausgewählten Arbeitslosen 560 Euro anstelle des etwa gleichwertigen Arbeitslosengeldes ausgezahlt.

Der Unterschied zum Arbeitslosengeld: keinerlei Auflagen oder Versteuerung und Zuverdienste ohne Abzüge.

Die Ergebnisse des Experiments sind durchwachsen. Es ließ sich anhand des Vergleichs mit einer Kontrollgruppe feststellen, dass der eigene Gesundheitszustand als besser und der Grad an erlebtem Stress als geringer empfunden wurde. Außerdem empfanden die Probanden

„ein stärkeres Vertrauen in ihre Zukunft und ihre eigenen gesellschaftlichen Mitwirkungsmöglichkeiten“15

, wie die leitende Forscherin Minna Ylikännö vom finnischen Sozialversicherungsinstitut Kela mitteilte. Auf dem Arbeitsmarkt war jedoch keine deutliche Änderung sichtbar. Beide Probandengruppen gingen etwa gleich viele Tage und etwa zum gleichen Lohn arbeiten. Es existieren auch Erfolgsgeschichten unter den 2000 Teilnehmern des Projekts. Es scheint jedoch, als wurden diese insbesondere von jenen geschrieben, denen bereits ein unternehmerisches Denken innewohnte, die eine Idee mit Hilfe des Grundeinkommens endlich umsetzen konnten oder als selbstständig Tätige im Falle einer guten Auftragslage nicht mehr Opfer von Kürzungen der Sozialleistungen wurden.

Anderen, insbesondere Langzeitarbeitslosen, gelang der Sprung in den Arbeitsmarkt ebenso gut oder schlecht wie auch zuvor. Sini Marttinen, welcher durch das bedingungslose Grundeinkommen der Aufbau eines eigenen Unternehmens gelang sagt dazu:

„Wer heute keinen fehlerfreien Lebenslauf schreiben kann, der lernt das nicht plötzlich, nur weil er ein bedingungsloses Grundeinkommen erhält.“16

Eine wichtige positive Erkenntnis liefert das auf den ersten Blick ernüchternd erscheinende Ergebnis jedoch: Arbeitslose ohne Zwang zur Erfüllung von Auflagen, wie dem Schreiben von Bewerbungen oder dem Besuch von Weiterbildungen, finden ebenso schnell den Weg in einen neuen Job wie jene, die diesen Zwängen unterliegen. Das Argument, dass ein Grundeinkommen faul mache, konnte damit widerlegt werden. Getrübt wird diese Erkenntnis wiederum von der Tatsache, dass etwa 75% der Teilnehmer nicht von den angestrebten Bürokratieerleichterungen profitierten, da sie zusätzliche Sozialleistungen beantragen und somit wiederum Auflagen erfüllen mussten. Die bisher veröffentlichten Zahlen sollten jedoch als vorläufig betrachtet werden und werten lediglich das erste von zwei Testjahren aus. Die Auswertung des gesamten Zeitraumes kann bis zu zwei Jahre in Anspruch nehmen. Zudem könnte das abrupte Ende der Testphase zur Verwässerung der Ergebnisse führen.

Tobias Kaiser: Warum Finnlands Grundeinkommen alle enttäuscht hat. welt.de. 8. Februar 2019
Test zum Grundeinkommen zeigt keine Wirkung auf den Arbeitsmarkt. zeit.de. 9. Februar 2019
Grundeinkommen macht gesünder, aber bringt keinen Job. spiegel.de. 8. Februar 2019
Carsten Schmiester: Durchwachsene Bilanz eines Experiments. tagesschau.de. 8. Februar 2019
Finnland beendet völlig überraschend sein Grundeinkommen-Experiment. Business Insider Deutschland. 19. April 2018
Florian Diekmann: Grundeinkommen in der Schweiz und Finnland – Gleiches Geld für alle. spiegel.de. 25. Dezember 2015

Grundeinkommen in Kanada

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Nachdem Kanada mit dem fünfjährigen Grundeinkommen-Projekt „Mincome“ (= „minimum income“) in den 70er Jahren weltweite Berühmtheit erlangte, startete der Staat im Jahr 2017 einen weiteren Versuch. In Ontario bekamen 4000 Bürger und Bürgerinnen mit sehr geringem Einkommen ein gesichertes Grundeinkommen von monatlich ca. 1400 Dollar (= etwa 940 Euro). Personen mit besonderer Bedürftigkeit, wie schwereren körperlichen Krankheiten, stand weiterhin Krankengeld zu. Ebenso blieb das Kindergeld unangetastet.

Das Grundeinkommen reduzierte sich jedoch um die Hälfte jedes zusätzlichen gewerblichen Einkommens, wenn die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zusätzliche Einkünfte verzeichneten. Nach nur einem statt geplanter drei Jahre erfolgte aufgrund eines Regierungswechsels das plötzliche Ende des Experiments. Bereits zum zweiten Mal war es daher nicht möglich, aus dem kanadischen Grundeinkommensprojekt aktuelle und nützliche Erkenntnisse zu ziehen. Immerhin hatte jedoch eine Wissenschaftlerin die Daten aus den 70er Jahren ausgewertet und kam zu einem ähnlichen Ergebnis wie im namibischen Projekt.

Nur 1% der Menschen hätte damals ihre Arbeitsstelle aufgegeben und das meistens den Kindern zuliebe. Im Schnitt verkürzten sie ihre Arbeitszeit um 10%, nutzten die freie Zeit jedoch auch für Bildungsmaßnahmen oder zur Suche nach einem besseren Job. Außerdem waren die Menschen gesünder und die Schüler verbesserte sich merklich in der Schule.

Vivien Timmler: Projekt Grundeinkommen in Kanada gestoppt. sueddeutsche.de. 2. August 2018

Grundeinkommen in der Schweiz

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In der Schweiz wurde im Jahr 2016 per Volksentscheid über ein mögliches bedingungsloses Grundeinkommen abgestimmt. 126.000 Pro-Unterschriften wurden im Voraus gesammelt. Eine Mehrheit von über 75% der Wähler stimmte bei der schlussendlich stattfindenden Wahl jedoch dagegen.

Daraufhin entschied sich eine Berliner Filmemacherin das Experiment Grundeinkommen selbst in die Hand zu nehmen und in der Praxis auszuprobieren, statt es dabei zu belassen, lediglich die Theorie abzulehnen. Rebecca Paninan entwickelte seit 2017 einen Plan, der den Bewohnern von Rheinau im Norden des Kantons Zürich im Jahr 2019 ein bedingungsloses Grundeinkommen von 2500 Franken (= etwa 2200 Euro) zusagte. Das Durchschnittsgehalt liegt in der Schweiz bei ca. 6000 Franken (= etwa 5500 Euro). Für das Projekt meldeten sich in dem kleinen Durchschnittsort, der sogenannten „Mini-Schweiz“, über 750 Bürger an, die den bürokratischen Aufwand auf sich nehmen wollten. Die Finanzierung sollte über Crowdfunding (auch: „Schwarmfinanzierung“), also Spenden von Einzelpersonen, die an dieses Projekt glauben, erreicht werden. Die Aktion scheiterte jedoch kläglich, als im Dezember 2018 anstatt der benötigten 6,2 Millionen Franken (= etwa 5,5 Millionen Euro) lediglich 150.000 Franken (= etwa 130.000 Euro) im Topf landeten. Die Initiatorin gestand ein, dass sich die Kommunikation bezüglich der Thematik „bedingungsloses Grundeinkommen“ noch immer schwierig gestalte. Es sei nicht möglich gewesen, genügend Bürger und Bürgerinnen davon zu überzeugen, dass ein Grundeinkommen nicht „ein Jahr Ferien“ bedeute.

Schweizer Dorf will Grundeinkommen ausprobieren – doch nun fehlt das Geld. spiegel.de. 4. Dezember 2018
Experiment scheitert vorerst – Schweizer Grundeinkommen bleibt Utopien-tv.de. 4. Dezember 2018
Charlotte Theile: „Mini-Schweiz“ testet das Grundeinkommen. sueddeutsche.de. 3. September 2018

Grundeinkommen in den Niederlanden, Spanien, Deutschland und der ganzen Welt

In Utrecht startete das Experiment Grundeinkommen, initiiert von der hiesigen Universität, im Jahr 2016. Etwa 300 Menschen bekamen pro Monat ein gesichertes Einkommen von ca. 1000 Euro. Die Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden in drei Gruppen aufgeteilt. Gruppe 1 erhielt die gewohnte Sozialleistung, Gruppe 2 erhielt ein Grundeinkommen basierend auf Auflagen und einem Anreiz-/Belohnungssystem, Gruppe 3 erhielt ein tatsächlich bedingungsloses Grundeinkommen, welches auch weiterhin gezahlt wurde, wenn die Teilnehmenden den Weg aus der Arbeitslosigkeit bzw. dem geringen Verdienst hinaus fanden.

Nach einem noch ausgefeilteren und detaillierteren Prinzip fand im Jahr 2017 ein Experiment im Armen-Stadtteil Besòs in Barcelona statt, wo 1000 Haushalte ein Grundeinkommen unterschiedlicher Höhe erhielten. Die Höhe richtete sich nach der Zusammensetzung des Haushalts sowie dem Einkommen und belief sich auf 100 bis knapp 1700 Euro. Die Besonderheit des Projekts liegt darin, dass das Grundeinkommen mit aktiver Sozialpolitik verbunden wurde. Es beinhaltete neben der Zahlung des gesicherten Einkommens zum Großteil auch gesellschaftliche und bildungsrelevante Aufgaben und Auflagen. Insgesamt wurden zehn Forschungsdesigns erarbeitet, welche wiederum in zehn Testgruppen erprobt und evaluiert wurden. In den Gruppen wird das Grundeinkommen zusätzlich zum Einkommen, abzüglich des Einkommens, mit Sozial- oder Bildungsauflagen und in Kombination mit zig verschiedenen Sozialleistungen ausgezahlt. Diese detailreiche Planung ermöglicht eine vielfältige Auswertung der Ergebnisse, welche im Oktober 2019 vorliegen sollen.17

In Deutschland wird das bedingungslose Grundeinkommen ebenfalls seit Jahrzehnten diskutiert. Die Initiative „Mein Grundeinkommen“ ermöglichte durch Crowdfunding bisher 350 Menschen ein Grundeinkommen für jeweils ein Jahr. Auf politischer Ebene setzte sich der Berliner Bürgermeister Michael Müller (SPD) für ein „solidarisches Grundeinkommen ein, welches aktuell in Berlin mit 250 Teilnehmern und Teilnehmerinnen startet und auf eine Dauer von fünf Jahren angelegt ist.18

Außer den zahlreichen genannten Projekten wurden und werden auch Experimente in Kuba, Alaska, Mongolei, Iran, Uganda, Brasilien und weiteren Ländern durchgeführt19. Besonders aktuell ist das kürzlich gestartete Projekt in der Provinz Gyeonggi in Südkorea20

Befürworter & Gegner des Bedingungslosen Grundeinkommens

Elon Musk - PRO - über "Universal Basic Income" (UBI)

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Mark Zuckerberg - PRO - über Idee des Universal Basic Income

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Richard David Precht - PRO - Interview über das bedingungslose Grundeinkommen

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Dirk Müller - PRO - Gespräch über das bedingungslose Grundeinkommen

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Gregor Gysi - CONTRA - zum bedingungslosen Grundeinkommen

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Wie steht es in Zukunft um das bedingungslose Grundeinkommen?

Während das bedingungslose Grundeinkommen in Deutschland vom Zwang zur Arbeit befreien und sowohl den Stress als auch den Bürokratieaufwand senken soll, können andere Länder von einem Sozialstaat nur träumen. Für sie ginge es beim bedingungslosen Grundeinkommen um das Überleben der Familie und die Möglichkeit Bildungseinrichtungen zu besuchen. Es macht also auch einen Unterschied, ob das Grundeinkommen von der jeweiligen Landesregierung als notwendiges Mittel zur Armutsbekämpfung eingesetzt oder lediglich als aufwändige Umstrukturierung eines bereits existierenden Sozialstaats betrachtet wird.

Dazu kommt, dass es bisher wenige detaillierte und evaluierte Testläufe gibt, obwohl bereits viel experimentiert wurde. Das einzig wirklich bedingungslose Grundeinkommen wurde außerdem in den 70er Jahren in Kanada ausgezahlt. Alle folgenden Versuche fanden vorrangig in Armutsregionen statt oder waren an bestimmte Bedingungen geknüpft. Vom bedingungslosen Grundeinkommen sind somit auch die Länder in Europa noch weit entfernt. Stattdessen stehen immer wieder Modelle zur Debatte, die die Zahlungen an die Armutsgrenze binden oder die Begünstigten zu gesellschaftlich nützlichen Aktivitäten bewegen sollen, wie es auch in Barcelona der Fall war und aktuell in Berlin in Form des „solidarischen Grundeinkommens“ umgesetzt wird.

Das bedingungslose Grundeinkommen birgt ein enormes Potenzial. Wie genau es umsetzbar ist, kann aber nur durch weitere Forschungen und Testläufe herausgefunden werden. Auch die Finanzierung des BGE ist möglich, jedoch mit enormen Veränderungen verbunden, die einen gemeinsamen Konsens innerhalb der Länder und den Willen zur Umsetzung des bedingungslosen Grundeinkommens voraussetzen.

Vanessa Schmidt lächelt in die Kamera

Vanessa liebt das Schreiben und bereichert den Blog daher mit spannenden Themen rund um das südliche Afrika. Sie interessiert sich besonders für die interkulturelle Zusammenarbeit und fremde Kulturen. In Verbindung damit stellen das Reisen und Fotografieren/Filmen ihre größten Leidenschaften dar und führten sie bereits in den Norden und Westen des afrikanischen Kontinents. Der Süden wird somit sicher ebenfalls nicht mehr lange auf sich warten lassen!

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